Pädagogik – Projekt ‚Spielzeugfreier Kindergarten‘

Spielzeugfreie Zeit


Das Leben der Kinder wird heutzutage in großem Umfang von Medien, einem Überangebot von Konsumgütern und durch vielfältige, vorgeplante Freizeitangebote (z.B. Musikschule, Turnen, Sprachkurse,…) bestimmt. Hinzu kommt, dass die zunehmende Bebauung und das hohe Verkehrsaufkommen den Lebens- und Spielraum für Kinder stark einschränken.

Dadurch fehlt vielen Kindern der nötige Freiraum um eigene, phantasievolle Ideen zu entwickeln, eigene Bedürfnisse wahrzunehmen und „zu sich selbst“ zu finden. In unserem Kindergarten wird aus diesem Grund jedes Jahr für drei Monate das Spielzeug und Beschäftigungsmaterial „in Urlaub geschickt“, so dass in den Zimmern lediglich das Mobiliar, Decken und Kissen verbleiben. Im Turnraum können die Kinder weiterhin Sprossenwand, Langbänke und Matten benutzen.

Von den Erzieherinnen werden in dieser Zeit bewusst keinerlei Beschäftigungen angeboten, selbst das Vorschulprogramm pausiert.

Unser Anliegen ist es, durch die nun geschaffene Situation den Kindern den nötigen Freiraum zu geben, um eigenständig aktiv zu werden. Sie lernen Langeweile auszuhalten und selbständig Abhilfe zu schaffen (® Suchtprävention).

Während dieses Projektes beschäftigen sich die Kinder beispielsweise mit Höhlen bauen, Rollenspielen, Erzählen, Turnen, Spielen im Garten, Musizieren (mit selbst gebastelten Instrumenten) und dem Herstellen (nicht angeleitet) von Spielzeug aus wertlosem und natürlichen Materialien (können von den Kindern eingefordert werden).

Die Kinder werden während dieser drei Monate selbständiger und lernen selbstbewusst ihre Bedürfnisse und Wünsche zu äußern. Es werden neue Kontakte geknüpft und vermehrt soziale Kompetenzen (Hilfsbereitschaft, Rücksichtnahme, Durchsetzungsvermögen, Kritikfähigkeit, Umgang mit Konflikten, Gefahrenbewusstsein, Frustrationstoleranz,…) erworben. Die Kinder sprechen wesentlich mehr miteinander, werden geschickter in Wortwahl und Satzbau und lernen neue Begriffe und Begrifflichkeiten dazu.

Jeder Vormittag endet mit unserem Sitzkreis. Alle Kinder haben die Möglichkeit mit Unterstützung von Gesichtern (fröhlich, traurig, ärgerlich, ängstlich) ihre Gefühle, Erlebnisse, Beschwerden, Veränderungsvorschläge usw. in/vor der Gruppe zu äußern.

Ihre Grobmotorik wird durch die tägliche Benutzung der Turnhalle und die vielfältigen Aktivitäten im Freien ausgebaut und verfeinert. Die Kinder zeigen sich häufig viel geschickter und sicherer, sie bekommen mehr Zutrauen in ihr Können, probieren neue   „akrobatische Kunststücke“ aus, wiederholen vermehrt einzelne Turnelemente oder ungewohnte Bewegungsabläufe. Ihre Selbsteinschätzung wird präziser und das Reaktionsvermögen wächst.

Aber auch die Fähigkeit der Kreativität und der Feinmotorik der Kinder wird während dieser Zeit vielseitig eingesetzt. Sie können die eigenen Ideen und Vorstellungen nach ihren Plänen mit unterschiedlichsten Materialien umsetzen. Diese (z.B. Bastelutensilien) werden nach einer gewissen Anlaufzeit auf Anfrage der Kinder durch die Erzieherinnen ausgehändigt, in der Natur gesammelt oder falls erforderlich in einem Geschäft von den Kindern eingekauft.

Die Rolle der Erzieherinnen während des Projekts besteht darin, sich selbst bei Spielangeboten und Problemlösungen zurückzunehmen. Dies erfordert eine permanente Auseinandersetzung mit den eigenen Einstellungen, sowie ein geändertes Setzen von Grenzen. Selbstreflexion und Teamgespräche, das Beobachten der Kinder (Beobachtungsbögen, Fallstudien), vermehrte Zusammenarbeit mit den Eltern und bei Bedarf mit öffentlichen Institutionen, stellen erweiterte Anforderungen an die Erzieherinnen als im Regelalltag.

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